Von Erdbeben und Hurrikans
Published on August 29, 2011 by Olaf Kreitz, in New York, USA
Das gibt es selten, dass man innerhalb einer Woche sowohl von einem Erdbeben als auch einem Hurrikan heimgesucht wird. Gerade wenn es sich, wie in meinem Fall, um das erste Erdbeben und den ersten Hurrikan handelt, ist man natürlich gespannt wie ein Flitzebogen. Nun wusste ich vom Erdbeben natürlich im Voraus nichts, so was kann man ja nicht tagelang via Satellit beobachten. Dumm war nur, dass ich von dem Erdbeben über Twitter und Facebook erfuhr, nicht aber, weil ich durchgeschüttelt worden wäre. Komischerweise war weder mein Büro noch das Café, in dem ich Mittag aß betroffen, 10 Blocks weiter südlich jedoch wurden ganze Gebäude evakuiert. Insgesamt gab es aber keine Opfer zu beklagen und der Sachschaden hielt sich auch in Grenzen.
Da war der Hurrikan schon ein größerer Spaß. Nicht nur konnte man tagelang mit Hilfe unzähliger Webseiten mitfiebern, in welche Richtung der Sturm ausschlagen würde, auch die ganzen Vorbereitungen in New York waren spannend. Gegen Ende der Woche, als klar war, dass Irene ihren Kurs auf die Stadt halten würde, begann die Stadtverwaltung mit den nötigen Maßnahmen. Bürgermeister Bloomberg trat mehrmals täglich vor die Kamera und briefte die Bevölkerung. Es gab das volle Programm: Bewohner niedrig gelegener Gebiete der sogenannten Zone A wurde aufgefordert ihre Wohnungen und Häuser zu verlassen und bei Freunden unterzukommen. Für Personen, denen dies nicht möglich sein sollte, wurden Schutzräume eingerichtet, in denen man Unterschlupf finden konnte. Die MTA, also die New Yorker Verkehrsbetriebe, gaben gekannt, dass sie zum ersten Mal in der Geschichte der Stadt den Betrieb aller öffentlichen Verkehrsmittel komplett einstellen würden. Für diesen Vorgang, so wurde geschätzt, bräuchte man mindestens 8 Stunden und vermutlich noch mehr zur Wiederaufnahme, da dann noch der Zustand der Schienen kontrolliert werden müsse.
Am Freitag ging der Wahnsinn dann langsam los. Nachdem wir am Vortag nicht mehr einkaufen waren, packte mich der Gruppenzwang und zog mich in Richtung Supermarkt. Der örtliche Trader Joe’s (gehört Aldi) war propevoll, schon mittags waren bestimmte Warengruppen komplett ausverkauft (vor Allem Wasser). Ich dachte ich bin besonders schlau und verschob meinen Einkauf auf den Nachmittag, wenn alle noch im Büro sind. Falsch gedacht. Die Situation wurde nicht mehr besser, um 4 Uhr stand die Schlange schon 2 Blocks lang vor dem Eingang, geschätzte 2 Stunden vom Schlangenende bis zur Kasse. Jamie hatte im Fine Fare in Harlem mehr Glück und ergatterte noch ein paar Flaschen Wasser, Obst und Gemüse. Am Samstagmorgen erklärte Bloomberg dann die Pflichtevakuierung der Zone A und wir den Pflichteinkauf einiger weiterer Lebensmittel. Nachdem es mittlerweile schon ganz nett regnete, beschlossen wir unseren Einkauf auf den naheliegenden Supermarkt die Straße runter zu beschränken. Dort angekommen, stießen wir auf einen durchaus gut gefüllten Laden, sowohl was die Einkaufenden als auch das Einzukaufende anging. Trotz der anstürmenden Massen waren die Regale voll und mit Ausnahme von stillem Wasser gab es von allem genug. Wir deckten uns mit Fisch, Fleisch und mehr Gemüse ein, genug um 3 Tage lang 3 Mahlzeiten am Tag kochen zu können. Sicher ist sicher, lautete die Devise – ohne U-Bahn ist die Versorgungslage der Restaurants ja zumindest eingeschränkt, das galt es in den Versorgungsplan miteinzukalkulieren. Insgesamt muss man sagen, dass die Stimmung ziemlich gut war, alle waren gut drauf und schienen eher hilfsbereit und nachsichtig zu sein als genervt.
Der Samstag verlief dann auch eher harmlos. Der Regen nahm mal zu, mal ab, der Wind wurde gegen Abend etwas heftiger. Kurz nach acht beschlossen wir noch spontan in eine naheliegende Cocktailbar zu gehen. Dort waren wir die ersten und wurden herzlich begrüßt. Im Laufe des Abends kamen dann aber doch noch einige Gäste um gemeinsam die Ankunft von Irene zu begießen. Draußen wurden Wind und Regen immer heftiger. Als wir gegen halb elf die zwei Blöcke heim liefen, konnte man den Schirm noch gut halten, die Straßen waren allerdings schon ganz gut voll gelaufen.
Nachts hörte man nicht viel von Irene, das leise Surren der Klimaanlage übertönte etwaige Sturmgeräusche. Am Morgen war ich dann sehr gespannt, ich hatte mir ein wenig Sorgen um das Motorrad gemacht, das ich etwas näher an der Hauswand geparkt hatte als sonst. Zum Glück eigentlich, aber wie ich schnell auf Facebook bemerkte, wohl eher zur allgemeinen Enttäuschung hinterließ der Hurrikan kaum Spuren. Sicher, in den ufernahen Gebieten gab es einiges an Hochwasser und überall in der Stadt schienen mehr oder minder große Teile von Bäumen gerissen worden sein. Aber das große Desaster schien ausgeblieben zu sein. Keine Opfer zu beklagen, deutlich weniger Verbrechen, als in einer durchschnittlichen Samstagnacht, außer ein paar abgeknickten Ästen und Hochwasser schien alles in Ordnung. So war der Mayor bei seinem Briefing auch eher happy und nahm Kritik, das man übervorsichtig gewesen sei ziemlich gelassen. Ich kann Bloomberg da nur beipflichten: hinterher ist man immer schlauer aber niemand konnte wissen, dass sich der Hurrikan so stark abschwächen würde. Die Vorsichtsmaßnahmen waren alle angebracht und am Ende gilt, better safe than sorry. Die Hauptsache ist, dass niemand zu Schaden gekommen ist in NY.
Am Sonntagnachmittag haben wir dann die Nachbarschaft erkundet um uns ein Bild vom Zustand der “Verwüstung” machen zu können. Ähnlich wie den Medien zu entnehmen war, fanden wir einige große Äste im Park, sogar ein paar komplett umgekippte Bäume. An Gebäuden konnten wir keine Schäden erkennen. Das eigenartigste am Ganzen Post-Hurrikan New York waren die vielen geschlossenen Geschäfte. Normalerweise ist der Sonntag ein ziemlich geschäftiger Tag, den viele zum Shoppen nutzen. Mangels öffentlicher Nahverkehrsmittel blieben heute die meisten Geschäfte allerdings geschlossen. Das war schon ein wenig ungewöhnlich.
Jetzt ist der Sonntag gerade vorbei und laut MTA laufen die U-Bahnen am Morgen wieder. Vermutlich nehmen wir sicherheitshalber und ausnahmsweise mal die Bonnie zur Arbeit aber ansonsten nehme ich mal an, dass im Laufe des Montags wieder alles seinen gewohnten Gang nimmt in der Stadt, die allem trotzt, egal was kommt, auch wenn’s mal nicht so schlimm kommt, wie alle gedacht haben.
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